Hans-Hinnerk Rohde – „Buschwerk“ – Zeichnungen und Malerei

Hans-Hinnerk Rohde
„Buschwerk“ – Zeichnungen und Malerei

Vernissage 15. Januar 2015 19:30 Uhr

Der Umsturz von einer aufgeräumten Bildfläche zur Unordnung in meinen Bildern war der Umzug von der Stadt aufs Land, in die Melange aus neuen Gerüchen, Erntemaschinen, Mücken und Schlangen. Das alte Haus, unser neues Heim, oben eingezwängt zwischen rauen Rotklinkerbauten, die den ästhetischen Hauch der Achtziger verströmen. Unten der Sumpf und das Moor.

Unsere Nachbarin hinter den Büschen ist klein, wurzelartig unbeugsam gebeugt, drahtig seit Urzeiten jung geblieben. Neben der abbruchreifen Kate ihrer bettelarmen Vorfahren, lebt sie in dem ehemaligen Schweinestall. Sie ist sehr ordentlich. Im Morgengrauen arbeitet sie die Größe ihres Grundstücks ab, hebt jedes gefallene Blatt auf, hält die Grashalme in einer Länge von zwei Zentimetern gefangen, eliminiert Schnecken und Spinnen, harkt Zweige zusammen, stutzt die Hecken, sägt das Holz und füllt langsam und beständig die Schubkarre mit dem organischen Unrat ihrer Welt. Einem emsigen Uhrwerk gleich saugt sie den Schmutz in Bahnen von der Oberfläche ihrer Scholle. Manchmal treffen sich unsere Arbeitsgänge. Ich gehe der Brennnessel auf unserem Grundstück beim Wachsen zuschauen, sense ein wenig an der Wiese herum und träume den Eidechsen, Fröschen und Ringelnattern hinterher. Ihre wachen alten Äuglein schweifen aus gebückter Lauerstellung über unser wucherndes aufquellendes Grasfeld. Nach ein paar freundlichen Worten, es gäbe ja immer was zu tun und ist ja auch schön heute, fällt die Bemerkung: Ist ja ein bisschen unordentlich bei ihnen, gefällt mir ja nicht so.

Erst jetzt bemerke ich wie ihre Ordnung sich meiner Ordnung nähert, wie sie sie zu untergraben und zu kränken sucht. Kleine Bretter und Latten, die ich nicht persönlich kenne, schummeln sich unterm verkrüppelten Kaninchendraht, der die Grundstücke mit letztem Stolz trennt, hindurch. Ich lasse meinen Blick über ihren Garten schweifen. Vorne: Buchsbaumreihen umrahmen Stiefmütterchen und Rosen wie ein Bouquet bannertragender Marschkolonnen. Folgt man den geharkten Wegen weiter nach hinten, biegt um die Ecke mit den Tannen und Fichten, die Weihnachten ihr Leben lassen, dann häufen sich die merkwürdigen Ecken und Fluchten. Blinde Fenster, demolierte Türen, Blechkanister, Dachkonstrukte, Morsches, Rostiges, Löchriges, Zargen, Rahmen mit zackigen Scherben reihen sich entlang gedachter Linien und Grenzen, zusammen gesteckt und gehalten von Moniereisen und alten Wasserrohren. Dahinter versteckt der Gartenabfall vergangener Jahrzehnte. Drückt die faulende Masse zu sehr nach vorn, will ausbrechen und aufkeimen, wird sie gebremst und gezügelt von weiteren herangeschleppten Trümmern verwandtschaftlicher Um- und Anbauten, wird gerupft und gejätet. So ergeben sich Schicht um Schicht, beobachtet von morschen Hochsitzen greiser Jäger, Zeichen der ordnenden Hand. Sie sitzen einmal im Jahr in der Jägerstuv, dreißig gemächliche Schritte weiter die Straße hoch an einem braunen Tisch in zwei Reihen, zwinkern einander zu bei der Erinnerung an den einen oder anderen Blattschuss hinter dem Buschwerk, an das Blut und den Braten und singen ein Lied mit zittrigen Stimmen. Auf die Zucht und die Ordnung heben sie ein Gläschen. Drei Hörner schmettern ein Hallali. Dann schließt sich die eiserne Pforte für ein weiteres Jahr, bis keiner mehr kommt.

Unten am Hang, am Rand des Sumpfes steht ein kleiner schlichter Mann an seiner Säge neben seinem Haus und sägt. Geduldig schiebt er ein Scheit nach dem anderen über den Sägetisch und gibt dem Kreis zu fressen. Sie singt und kreischt im Rhythmus seiner kurzarmigen Bewegungen. Jede Fuge seines Hauses ist ein sauberes Werk. Das Trapezblech: schieres Grau. Der Weg: Jahresringe seiner Tätigkeit in einem Baumarkt. Rote, blaue, dunkelgraue, glatte, unebene Betonsteine
arbeiten sich zur Straße hoch, vorbei an den Schutzhütten der winterlichen Holzernte. Monatelang füllt der Bariton seiner roten Dolmar die Umgebung, bis der Sopran der Kreissäge einsetzt und die Oper der Zerkleinerung, die Arie der Liebe zur Arbeit der Fragmentierung, sich fortsetzt. Gleich lange Holzstücke fliegen in Unterstände, werden unter Blechen unterschiedlichster Bauart und Farbe gestapelt. Lehnen an Wänden aus Resthölzern und Paletten. Aus der Entfernung erzeugen sie geworfen und auftreffend das Geräuschwerk einer munteren Treibjagd hinter den letzten Büschen des Forstes.

Meine Vorgehensweise beim Erarbeiten der Tuschezeichnungen orientiert sich am Surrealismus. Aus zuerst unbestimmten Farbflecken und Farbflächen arbeite ich Formen und Gegenstände heraus, die im Laufe des Arbeitsprozesses wieder ausgelöscht oder umgearbeitet werden. Aus der Unordnung der Improvisation des Anfangs entsteht eine Bildordnung, indem ich Bezüge und Richtungen erschaffe, die sich zum Beispiel einer Figur, einem Baum oder einem Ast unterordnen. Das Gleiche gilt für die Farbigkeit des Bildes, die sich stark verändern kann. Die dadurch entstehenden Schichten lassen sich erkennen und stellen eine Analogie zum wuchernden Wachstum, den zusammengeschusterten Bauwerken oder auch zum Zerfall in den Bildern dar. Warum interessiert mich das? Weil es den Hauptteil unserer Umgebung ausmacht. Weil wir überall gegen den Zerfall ankämpfen, um unserem Umfeld eine Ordnung aufzudrücken. Kaum drehen wir uns um, wächst es wieder, vergeht, verkrautet, rostet, verschlammt, kurz es verwildert wieder. Das erscheint uns wie das Chaos, dabei ist es nur eine andere, komplexere Form der Ordnungen.

Bei meinen Öl- und Acrylbildern gehe ich anders herum vor. Hier habe ich eine Komposition vor Augen, die ich dann zu verschleiern oder zu stören versuche. Das geschieht z.B. durch die Verschiebung des Bildraumes. Teile des Vordergrundes, eine Figur oder Person, werden in den Hintergrund geschoben, sodass der Eindruck eines Dioramas erscheint. Der Betrachter betrachtet einen Betrachter beim Betrachten und tauscht mit ihm einen Blick aus.

Hans Hinnerk Rohde

geb. 8.9.1965 in Glückstadt an der Elbe und aufgewachsen in Kiel

1987 – 1996 Kunsterzieherstudium an der Muthesius-Hochschule in Kiel bei Prof. Peter Nagel (Malerei), Prof. Fritz Bauer (Grafik) und der CAU. Schwerpunkt Malerei

1995 Stipendiat der Kunststiftung Landesbank Schleswig-Holstein
1996 Nordwest-Lotto-Stipendium

1997 – 1999 Referendariat in Lübeck

seit 1999 Kunstlehrer in Ahrensburg

Regelmäßige Beteiligungen an den Landesschauen des BBK-Schleswig-Holstein, Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen u.a. in Lübeck, Glückstadt, Gut Salzau

2011 – Hamburg, Atelier Andreas Neuffer

2012 – Elmshorn, Atelier Anders Petersen

Dauer der Ausstellung
15. Januar 2015 bis 15. Februar 2015

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